Sie schirrten tote Rosse auf (Eisenbahn)

Eisenbahn und immer Eisenbahn

Sie schirrten tote Rosse auf
Aus wildem Elementsgespann
Ihr Leib ist Erz und Dampf der Schnauf
Und Feuer der Sporn und Sturm der Lauf
Das Leben hängt als Schweif sich an
Mit Ketten Riegeln und Verschluss
Dass es dem Tode folgen muss
Mit Totenschnelle geht es fort
Kein Schwager knallt hinein
Kein Wegesgruß kein schelmisch Wort
Kein Posthorn weckt den müden Ort
Und klingt zum Traume ein
O Eisenbahn was bist du kommen
Hast unser Posthorn uns genommen

Sonst blühte uns wohl noch einmal
Ein Blümchen auf dem Wege
Und wechselnd schlug der weiche Pfad
Sich über Auen Berg und Tal
Die Herde teilte traulich unsre Stege
Und spielte sorglos um das Rad
Es lauscht das Reh im nahen Laubgehege
Es sang der Baum die stille Saat
Ihr Hufschlag wirft die Blumen aus dem Wege
Ihr Atem stößt den Vogel aus dem Flug
Jedwedes Leben scheucht der schnelle Leichenzug
Kein Weg ist leer und hart genug
Noch Eisen unterm Eisenrade
Sind ehern ihre kalten Pfade
Wie das Gesetz der Not
Abweichen – Tod
Eisenbahn was bist du kommen
Hast unsre Wege uns genommen

Hin jagt das Ross durch Erdennacht
Zieht unter dem Bette der Wogen fort
Hat zu den Wolken sich aufgemacht
Und jagen wir hier und jagen wir dort
Wir haben nicht Tiefen wir haben nicht Höhen
Ins Flache ins Flache muss alles vergehen
Die Felder sie fliegen die Bäume der See
Die Farben verschwimmen in Massen des Lichts
Es schreien die Pfade es zittert die Höh
Wir sehen alles und sehen doch nichts
Kaum hat das Auge die Fernen erflogen
Die grauen Türme im dämmernden Tal
Zu den Bergen den blauen die Sehnsucht gezogen
Sind wir hinter Bergen und Türmen zumal zu
Und eh wir es ahnen da liegt es uns offen
Und nahe was unsern Träumen so weit
Wir können nichts hinter den Bergen mehr hoffen
Verloren der Wahn an die Wirklichkeit
O Eisenbahn was bist du kommen
Hast Wandrers Sehnen uns genommen

Dort schattet der Wald hier grüßet ein Dach
Hier hab ich verkehrt und dort wohl geruht
Die alten Plätze schaun traurig mir nach
Dass tief in die Seele es weh mir tut
Wir können nicht rasten wir können nicht weilen
Die andern wollen wir müßen eilen
Aus Gewühl heraus in Gewühl hinein
Und das Gewühl saust mit uns hin
Wähnen wir einem entronnen zu sein
Sind wir im andern nur drin
Eisenbahn was bist du kommen
Hast Wandrers Ruhe uns genommen

Die Stunde pfeift in Massen schiebt man sich hinein
Die Stunde pfeift in Massen schiebt man sich hinaus
Humor der alte Reiskumpan steigt nicht mehr ein
Und nicht als Lieb und Freundschaft wieder aus
Man hat mitsammen nicht geweint gelacht
Nicht Not nicht Glück kein Lust kein Leid
Hat enger Herz an Herz gebracht
Zu Lieb und Freundschaft war ja keine Zeit
Und kehren heim wir auch von weit hinaus
Es ist nicht mehr der alte Gruß
Wir bringen keine Wunder mehr ins Haus
Wie’s kam so’s jedem kommen muß
Gedruckt ist’s längst schon alles wissen wir
In Uniform geht Glück und Unglück hier
Um ihre Ferne kamen Stadt und Lande
Um ihre stille Hoheit Wüste Meer
Die ganze Erde unterm Eisenbande
Um die Unendlichkeit von grauen Tagen her
Zusammen eng geschmiedet wird der Raum
Gebrochen seine Rechte an die Zeit
Die Wirklichkeit sie sie wird zum Traum
Und unser Traum stirbt an der Wirklichkeit
Eisenbahn was bist du kommen
Hast unsre Erde uns genommen

Text Von Scherenberg, Gedichte, Berlin 1850
in. Des Mägdleins Dichterwald. Stufenmäßig geordnete Auswahl deutscher Gedichte für Mädchen ; aus den Quellen, 1871