Schnell mein Schmidt (Das Dampfross)

Das Dampfross

Schnell! schnell, mein Schmidt, mit des Rosses Beschlag!
Derweil du zauderst, verstreicht der Tag
„Wie dampfet dein ungeheures Pferd!
Wo eilst du so hin, mein Ritter wert?“ –

Schnell! schnell, mein Schmidt! Wer die Erde umkreist
Von Ost in West, wie die Schule beweist
Der kommt, das hat er von seiner Müh
An’s Ziel um einen Tag zu früh

Mein Dampfroß, Muster der Schnelligkeit
Läßt hinter sich die laufende Zeit
Und nimmt’s zur Stunde nach Westen den Lauf
Kommt’s gestern von Osten schon wieder herauf

Ich habe der Zeit ihr Geheimnißs geraubt
Von Gestern zu Gestern zurück sie geschraubt
Und schraube zurück sie von Tag zu Tag
Bis einst ich zu Adam gelangen mag

Ich habe die Mutter, sonderbar!
In der Stunde besucht, da sie mich gebar
Ich selber stand der Kreißenden bei
Und habe vernommen mein erstes Geschrei

Viel tausend Mal, der Sonne voran
Vollbracht‘ ich im Fluge noch meine Bahn
Bis heut ich hier zu besuchen kam
Großvater als glücklichen Bräutigam

Großmutter ist die lieblichste Braut
Die je mit Augen ich noch erschaut
Er aber, grämlich, zu eifern geneigt
Hat ohne Weit’res die Thür mir gezeigt

Schnell! schnell, mein Schmidt! mich ekelt schier
Die jetzt verläuft, die Zeit von Papier
Zurück hindurch! es verlanget mich schon
Zu sehen den Kaiser Napoleon

Ich sprech ihn zuerst auf Helena
Den Gruß der Nachwelt bring‘ ich ihm da
Dann sprech‘ ich ihn früher beim Krönungsfest
Und warn‘ ihn, – o hielt er die Warnung fest

Bist fertig, mein Schmidt? nimm deinen Sold
Ein Tausend Neunhundert geprägtes Gold
Zu Roß! Hurrah! nach Westen gejagt
Hier wieder vorüber, wann gestern es tagt!

„Mein Ritter, mein Ritter, du kommst daher
Wohin wir gehen, erzähle noch mehr
Du weißt, o sag‘ es, ob fällt, ob steigt
Der Cours, der jetzt so schwankend sich zeigt?

„Ein Wort, ein Wort nur im Vertrau’n
Ist’s weis‘ auf Rothschild Häuser zu bau’n?“
Schon hatte der Reiter die Feder gedrückt
Das Dampfroß fern ihn den Augen entrückt

Adelbert von Chamisso (1830)

„Ich habe hier eine Frage zu beantworten, die in den Gedanken der Wissenschaft den unaufhaltsamen Fortschritt der Zeit und der Geschichte bezeichnet. – Ihr Starren, die ihr die Bewegung leugnet und unterschlagen wollt, seht, ihr selber, ihr schreitet vor. Eröffnet ihr nicht das Herz Europas nach allen Richtungen der Dampfschiffahrt, den Eisenbahnen, den telegraphischen Linien und verleihet dem sonst kriechenden Gedanken Flügel? Das ist der Geist der Zeit, der, mächtiger als ihr selbst, euch ergreift. (Adelbert von Chamisso, in: „Reise um die Welt“)