Im Eisenbahnhofe

Hört ihr den Pfiff, den wilden, grellen
Es schnaubt, es rüstet sich das Tier
Das eiserne, zum Zug, zum schnellen
Her braust’s wie ein Gewitter schier

In seinem Bauche schafft ein Feuer,
Das schwarzen Qualm zum Himmel treibt
Ein Bild scheint’s von dem Ungeheuer
Von dem die Offenbarung schreibt

Jetzt welch ein Rennen, welch Getümmel
Bis sich gefüllt der Wagen Raum
Drauf »Fertig!« schreit’s, und Erd und Himmel
Hinfliegen, ein dämon’scher Traum

Dampfschnaubend Tier! Seit du geboren
Die Poesie des Reisens flieht
Zu Ross mit Mantelsack und Sporen
Kein Kaufherr mehr zur Messe zieht

Kein Handwerksbursche bald die Straße
Mehr wandert froh in Regen, Wind
Legt müd sich hin und träumt im Grase
Von seiner Heimat schönem Kind

Kein Postzug nimmt mit lust’gem Knallen
Bald durch die Stadt mehr seinen Lauf
Und wecket mit des Posthorns Schallen
Zum Mondenschein den Städter auf

Auch bald kein trautes Paar die Straße
Gemütlich fährt im Wagen mehr
Aus dem der Mann steigt und vom Grase
Der Frau holt eine Blume her

Kein Wandrer bald auf hoher Stelle
Zu schauen Gottes Welt, mehr weilt
Bald alles mit des Blitzes Schnelle
An der Natur vorübereilt

Ich klage: Mensch, mit deinen Künsten
Wie machst du Erd und Himmel kalt!
Wär ich, eh du gespielt mit Dünsten
Geboren doch im wildsten Wald

Wo keine Axt mehr schallt, geboren
Könnt’s sein, in Meeres stillem Grund
Dass nie geworden meinen Ohren
Je was von deinen Wundern kund

Fahr zu, o Mensch! Treib’s auf die Spitze
Vom Dampfschiff bis zum Schiff der Luft
Flieg mit dem Aar, flieg mit dem Blitze
Kommst weiter nicht als bis zur Gruft

Text: Justinus Kerner (1852)