I
Es ahnet niemand meines Herzens Regen
Das dunkle Meer von meiner Seele Tiefen
Wie seine Wogen endlos sich bewegen
Und wilde Stürme aus dem Grunde riefen
Es ahnt es niemand – auch das Meer verhehlet
Was es verbirgt in seinem tiefsten Grunde
Zuweilen nur ist’s, daß ein Sturm erzählet
Von seinem Innern mit beredtem Munde
So ist wohl mir auch manch ein Lied entquollen
Den Kampf des eignen Herzens zu begleiten
Doch sah ich’s gern vergessen und verschollen
Vor den Trommetenschmettern dieser Zeiten
Ich stieß ja selber in die Lärmtrommete
Die trägen Völker aus dem Schlaf zu rütteln!
Ich mahnte immerdar mit lauter Rede
Der Knechtschaft Ketten müßt ihr von Euch schütteln!
Ich warf mich in das regste Weltgetriebe
Und sprach von Freiheit, Recht, vom Vaterlande
Doch schwieg ich immer von der Glut der Liebe
Die mir im Innern unverlöschbar brannte
Wohl weiß ich wie die flache Welt entscheidet
Was man nicht laut verkündet auf den Gassen
Was nicht in Worten ihr vorüber gleitet
Das kann sie nicht verstehen und nicht fassen
Drum ahnet niemand meines Innern Regen
Drum hat kein Herz das meine ganz verstanden
Wo laut es pocht im stürmischen Bewegen
Verstummt der Mund und liegt das Wort in Banden
So muß ich unerkannt durchs Leben gehen
Dem Strome gleich, der sich durch Felsen windet
Die Nächsten mir seh ich am Ufer stehen
Wo jede Tiefe ja zur Schwachheit schwindet
Es ist mein Los! – ich kann um Lieb nicht bitten
Doch lieben kann ich noch aus tiefsten Herzen
Um laut zu künden, was ich still gelitten
Zu heilig sind mir meiner Liebe Schmerzen
II.
Und weil ich schwieg und weil in keuscher Scheue
Ich nimmer auf dem offnen Markt gesungen
Von meiner Seele ew’ger Liebestreue
Von meines Herzens süßen Huldigungen
Meint Ihr, ich sei kein fühlend Weib geblieben
Indes der Freiheit Fahne ich getragen?
Ich hab‘ verlernt zu dulden und zu lieben
Weil meine Lieder keine Liebesklagen?
O arme Toren, die Ihr noch könnt wähnen
Daß stille Lieb‘ und lautes Wort sich einen
Daß wir die heiligsten von unsern Tränen
Vor aller Welt vermögen auszuweinen
Hört Ihr die Nachtigall am Tage schlagen
In lauter Menschen emsigen Gewimmel?
Sie wird zur Nacht im stillen Haine klagen
Den Menschen nicht, sie singt ihr Lied dem Himmel
Die Lerche aber singt im Sonnenscheine
Sie ruft die Menschen wach zu neuen Taten
Wo sie der Arbeit pflegen im Vereine
Schwebt sie am liebsten ob den grünen Saaten
So hab‘ ich Euch als Lerche aufgewecket
Das Morgenlied der Freiheit vorgesungen
Als Nachtigall hab‘ ich mich tief verstecket
Das Lied der Liebe ist in Nacht verklungen!
Louise Otto-Peters