Auf dem Kynast

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Die Wolken hingen vom Gebirge nieder
Gespenstig ziehend um den finstern Wald
Dampfende Nebel dehnten Riesenglieder
In grau und schwarz mit seltsamer Gestalt
Doch hob sich draus auf waldumkränzter Höhe
Die alte Veste stolz und kühn hervor
Dass sie die Wolken sich zu Füßen sehe
Als Weihrauch sie des Nebels Ziehn erkor

Und durch die Nebel schritt ich ihr entgegen
Und durch die Wolken eilte ich ihr zu
Auf feuchten moosbedeckten Waldeswegen
Zu des Gebirges stiller Totenruh
Bald klomm ich zu des Kynast höchstem Walle
Und ließ die Blicke schweifen in die Runde
Da fuhr ich auf von eines Seufzers Schalle
Und vor mir stand sie – Fräulein Kunigunde

Viel Ritter kamen einst um mich zu werben
Weil meine Schönheit, weil mein Gold sie zog
Ich aber wollt als freie Jungfrau sterben
Wenn nicht die Lieb mir mehr als Freiheit wog
Drum sann ich, mich der Werber zu entschlagen
Ein listiges ein finstres Mittel aus
Sein Leben dacht ich würde keiner wagen
Für mich nicht wagen einen blut’gen Strauß

Doch kamen sie um Ruhm sich zu erringen,
Den Ritt zu wagen um des Walles Ring.
Doch konnte keinem je die Tat gelingen
Und einer nach dem andern unterging
Da kam der eine, der mein Herz bezwungen
Dass es für ihn in heißer Liebe schlug
Ich rief und hielt sein Knie ihm fest umschlungen
Hier meine Hand – Halt ein! es ist genug!

Er aber stieß mich fort und sprengt zum Rande
Und ihm gelang der unheilvolle Ritt
Dann höhnt er mich, das tat ich dir zur Schande
Zur Rache jedem, der hier Tod erlitt!
Im Zorne schön noch wie ein Rachegott
So sprach er es mit heldenstolzen Trieben
Da trug ich still der Andern Hohn und Spott
Doch trug ich nimmer das verratne Lieben!

Und wo der andren Ritter Leichen lagen
Da eilt ich selber mir das Grab zu betten
Nun muß ich nächtlich umgehn noch und klagen
Und Flüche hören an den öden Stätten
Und war es doch mein einziges Verbrechen
Nicht ohne Lieb zur Sklavin mich zu machen!
Das wollten nur die stolzen Männer rächen
Das ist’s, was sie noch heut an mir verlachen!

Das ist’s rief ich, das wird noch heut beschworen
Wir sind ja nichts – sie sind die Herrn der Welt
Es wird das Weib zur Sklavin nur geboren
So heißt der Spruch, das Urteil ist gefällt
Und weh dem Weibe, das sich kühn vermessen
Und wo es liebt, sich liebend zu ergeben
Das nennt man töricht nennt man pflichtvergessen
Nie fehlt die Hand den ersten Stein zu heben

Und weh dem Weibe, das sich kühn erhoben
Und frei nach einem andern Ziele strebt
An einem andern Altar zu geloben
Ein höhres Fühlen, das sein Herz durchbebt
Und weh dem Weibe, das mit festen Schritten
Sich ob der Knechtschaft Schranken stolz erhebt
Ich weiß es, was ein solches Weib gelitten
Ich weiß auch: nicht umsonst hat es gelebt

Louise Otto-Peters

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Liederzeit: vor 1840 : Zeitraum:
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