Es steht ein Lindlein in jenem Tal
ist oben breit und unten schmal
Darauf da sitzt Frau Nachtigall
das kleine Waldvögelein vor dem Wald
Sing an sing an Frau Nachtigall
du kleines Waldvögelein vor dem Wald
sing an sing an du schönes mein Lieb
wir zwei müssen uns scheiden allhie
Er nahm sein Rößlein wohl bei dem Zaum
er bands wohl an ein Lindenbaum
sie half ihm in den Sattel so tief
Gesegen dich Gott du schönes mein Lieb
Wann wirst du wiederum kommen
Erst nauswärts gegen dem Sommer
wann alle die Bäumlein tragen das Laub
so schau auf mich du schöne Jungfrau
Es gieng wol gegen dem Sommer
mein schönes Lieb wollt nicht kommen
ich gieng spazieren wol durch das Holz
begegnet mir ein Reuterlein stolz
Gott grüß euch Jungfrau reine
was macht ihr hie alleine
Ei ist euch Vater und Mutter so krank
oder habt ihr heimlich einen Mann
Mein Vater und Mutter ist mir nicht krank
aber ich hab heimlich einen Mann
dort oben bei jener Linden so breit
darbei schwur er mir einen Eid
hat er auch ein Eid geschworn
und ihr habt euer schöns Lieb verlorn
so ist es heut ein ganzes Jahr
daß man ihm ein schöne Jungfrau gab
Was wollt ihr ihm entbieten
ich komm erst von ihm geritten
so ist es heut der dritte Tag
daß ich eur schöns Lieb gesehen hab
Was wollt ich ihm entbieten
Der liebe Gott thu ihn behüten
und kann er mir nicht werden zu Theil
so wünsch ich ihm viel Glück und Heil
Und kann er mir nicht werden
der Liebste auf dieser Erden
so will ich mir brechen meinen Muth
gleichwie das Turteltäublein thut
Es fleugt den Winter so kühle
und trinkt das Wasser so trübe
es setzt sich auf ein dürren Ast
da irret weder Laub noch Gras
Da zog er ab sein seiden Hut
erst kennet ihn die Jungfrau gut
Bei Gott willkomm du schönes mein Lieb
wie lang läßt mich in Trauren allhie
Da thät ich dich versuchen
ob du mir wolltest fluchen
und hättest mir ein Fluch gethan
so wär ich wieder geritten darvon
Da du mir nicht thätst fluchen
da erfreut sich mein Gemüthe
du machest mein Herz der Freuden so voll
daß ich dich jetzund haben soll
Wer ist der uns dies Liedlein sang
Das hat gethan ein Reutersmann
er singt uns das und noch vielmehr
Gott behüt alln Jungfrauen ihr Ehr
Er hats so frei gesungen
hat ihm ganz wohl gelungen
er hats seinem Buhlen zu Ehren gemacht
wünscht ihr darbei viel guter Nacht
Bemerkenswert die dritte Strophe mit ihren subtilen erotischen Andeutungen, die ausnahmsweise nicht der Zensur zum Opfer fiel, oder wie ist bitte „Sie half ihm in den Sattel so tief“ anders als erotisch zu lesen?
Diese Fassung in: „Tugendhafter Jungfrauen- und Jungengesellen Zeit-Vertreiber“ Um 1690 und Fliegendes Blatt um 1760 , in Deutscher Liederhort (1855)