Einst und Jetzt (Eisenbahn)

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(Der ersten deutschen Eisenbahn 1839, Leipzig-Dresden gewidmet)

Auf grünen Wiesen sah ich Lämmer weiden
Ihr Glöckleinklang als einziges Getön
War zu vernehmen im Vorüberschreiten
Sonst Alles still – so friedlich und so schön

Bei einer Linde weilte traut beisammen
Ein jugendfrohes, hochbeglücktes Paar
Er ließ sein Auge in das ihre flammen
Sie bot ihm schüchtern ihre Wange dar

Dicht gegenüber wo aus grünen Bäumen
Gar traulich winkt ein strohgedecktes Dach
Da mochten sie den eignen Herd sich träumen
Wo sich ihr Wunsch der Zukunft Glück versprach

Des Dorfes Kinder spielten muntre Spiele
Als Pferde spannten sie dem Pflug sich vor
Ein Knabe lenkte zum bestimmten Ziele
Mit Peitschenknall den muntern Brüderchor

Das war vor Zeiten – als ich wiederkommen
Zu diesem stillen, waldumkränzten Tal
Hei! wie da aller Friede ist genommen
Hei! wie das Alles anders auf einmal

Die neue Macht, die sich die Welt erküret
Sie hat auch hier jed alten Brauch verdrängt
Seht wie ein Pfad jetzt durch die Berge führet
Ein Wagen an dem andern rollend hängt

Statt Herdenglöcklein läutende Signale
Es rauscht und zischt und saust mit Ungestüm
Und rüttelt alle Träumer auf im Tale
Das mächtge feuerspeiende Ungetüm

Wird lang das Paar noch bei der Linde bleiben?
Die Maid steht bleich vor naher Trennungsqual
„Mich will’s hinaus ins rasche Leben treiben!“
Ruft er, „leb wohl! schon pfiffs zum drittenmal!“

Sie schaut ihm nach mit sehnsuchtsvollen Blicken
Wohl ahnt sie draußen die bewegte Welt
Wird nicht ihr Glanz des Liebsten Herz umstricken?
Ist dies kein Riff an dem ihr Glück zerschellt?

Wo sind die Knaben, die sich hier erfreuten?
Das alte Pflugspiel ist zu schlecht und klein
Ein bessres Los denkt Jeder zu erbeuten
Als das nur ein gepeitschtes Pferd zu sein

Dahin, dahin der einsam stille Frieden
Dahin, dahin ein jed idyllisch Glück
Denn alle Ruh ist aus der Welt geschieden
O Dampf, fürwahr, das ist Dein Meisterstück

Ja, Frieden stirb! – Du stiller Kirchhoffrieden
Du hast fürwahr zu lange schon gewährt
Ein ander Glück gibt’s noch für uns hinieden
Ein andrer Glanz hat unsre Zeit verklärt

Seht dort den Greis in dünnen Silberhaaren
Indes die Wagen fliegen hört sein Flehn
„Nun, Herr, laß Deinen Knecht in Frieden fahren!
Nun er die Wunder dieses Tags gesehn!“

Er ahnt es wohl, doch wußt er’s nicht zu sagen
Als ihn Bewunderung auf’s Knie gesenkt
Es weht ein neuer Geist um diese Wagen
Aus diesem Dampf der Eisenrosse lenkt

Rings lärmt er auf zum rüstigen Bewegen
Und dieses Läuten ruft: Habt acht! habt acht!
Mit jeder Schiene, die sie weiter legen
Wird neues Leben in die Welt gebracht

Und eh sie noch die Gotteskraft verstehen
Sind sich die Völker jubelnd nah gebracht
Und lassen ihre Freiheitsbanner wehen
Und durch die Lüfte saust’s: Erwacht! erwacht!

Text: Louise Otto-Peters

Liederthema:
Liederzeit: vor 1839 : Zeitraum:
Schlagwort:

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