Einst sitzt im Stübchen schlicht und klein

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Einst sitzt im Stübchen schlicht und klein

Einst sitzt im Stübchen, schlicht und klein
Sankt Annens frommes Töchterlein
Maria, einsam und bedacht
Den Rocken leer zu sehn vor Nacht
Sie streicht mit ihren Händchen weich
Von Zeit zu Zeit den Goldflachs gleich
Zupft Flocken aus dem Wickelbund
Benetzt mit Tau vom Knospenmund
Die Fingerchen, wie Schnee so weiß
Und zieht und dreht mit regem Fleiß
Den Faden aus gar fein, fein, fein
Und lächelt hochvergnügt darein
Und denkt: Es spinnt wohl manche nett
Bei uns daheim in Nazareth
In Sichar und in Bethlehem
Und vollends in Jerusalem;
Wer aber spinnt so säuberlich
Vom Jordan bis ans Meer – wie ich?

Da flüstert’s; „Ich!“ ihr nah ganz keck.
Die Jungfrau faßt darob ein Schreck
Sie blickt erstaunt und furchtsam schier
Um sich, wer im Gemach noch hier
Und Antwort gibt der Frage gar
Die doch nur ein Gedanke war.
Und in der Zimmerecke jetzt
Ersieht ein Spinnlein sie, das netzt
Dies sputet flink sich hin und her
Und auf und ab und kreuz und quer

Und ziehet lang, nach Seilerart
Die Fädchen, doch so wunderzart
Daß sie die Jungfrau kaum nimmt wahr
Mit Augen, die doch sternenklar
Da überglüht mit Purpur reich
Der Rose von Damaskus gleich
Ihr Scham die Wangen; reuig senkt
Voll Demut sie den Blick und denkt
Mit frommem Sinn: 0 Herr! Vergib
Daß ich so schnöde Hoffart trieb
Mich dünkt mein Schaffen all nur Tand
Nun mich ein Tierlein überwand.

Karl Gottfried Leitner

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Liederzeit: vor 1900 : Zeitraum:
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