Ein Pilgermädel, jung und schön
Wallt auf ein Kloster zu
Sie zog das Glöcklein an dem Thor
Ein Bruder Graurock trat hervor
Halb barfuß ohne Schuh
Sie sprach: „Gelobt sey Iesus Christ!“ —
„,In Ewigkeit!“‚ sprach er
Gar wunderseltsam ihm geschah
Und als er ihr in’s Auge sah
Da schlug sein Herz noch mehr
Die Pilgerin mit leisem Ton
Voll holder Schüchternheit
„Ehrwürdiger, o meldet mir,
Weilt nicht mein Herzgeliebter hier
In Klostereinsamkeit?
,Kind Gottes, wie soll kenntlich mir
Dein Herzgeliebter seyn?“
„Ach! an den gröbsten harnen Rock
An Geißel, Gurt und Weidenstock
Die seinen Leib kastei’n
Noch mehr an Wuchs und Angesicht,
Wie Morgenroth im Mai,
Am goldnen Ringellockenhaar,
Am Kimmelblauen Augenpaar,
So freundlich, lieb und treu!“ —
„Kind Gottes, o wie längst dahin!
Längst todt und tief verscharrt!
Das Gräschen säuselt drüber her;
Ein Stein von Marmel drückt ihn schwer;
Längst todt und tief verscharrt!‘
„Siehst dort, im Immergrün verhüllt,
Das Zellenfenster nicht?
Da wohnt‘ und weint‘ er und verkam
Durch seines Mädels Schuld vor Gram,
Verlöschend, wie ein Licht.“
,„Sechs Junggesellen, schlank und fein,
Bei Trauersang und Klang,
Sie trugen seine Bahr‘ an’s Grab;
Und manche Zähre rann hinab,
Indem sein Sarg versank“
„O weh ! O weh ! So bist du hin ?
Bist todt und tief verscharrt ?
Nun brich , o Herz , die Schuld war dein !
Und wärst du, wie sein Marmelstein,
Wärst dennoch nicht zu hart.“
Text: G. A. Bürger: Der Bruder Graurock und die Pilgerin
Musik: Melodie von K. W. Glösch. Berlin 1788, auch haben mehrere deutsche Tonkünstler: Kapellmeister Schulz,
Reichardt und Andre die Bürgerschen Lieder und Romanzen in Musik gesetzt.
in Die Volkslieder der Deutschen (1836)