Ein Gastwirt – hab ich recht gehört,
so wohnte er in Wesel –
War wirklich reich und sehr geehrt
in seinem grauen Esel
weil er die vielen Gäste
bewirtete aufs beste
Allein das Glück soll bei den reichen Spenden
die schwachen Menschen ganz und gar verblenden.
Der Wirt, von Hochmut eingenommen,
ließ einen Advokaten kommen
und bat durch ihn den Fürst – das Schild wär‘ zu gemein -,
ihm allergnädigst doch sein Bildnis zu verleihn.
Zwei Wochen, nein, sie sind noch nicht verschwunden,
als schon der Supplikant geneigt Gehör gefunden.
Es darf, zahlt er nur die gebühren,
sein Haus den Titel Kronprinz führen.
Ein andrer, der bei Fleiß und vielem Streben
in seiner Wohnung kaum erhielt das Leben,
nahm den verstoßnen Esel willig auf.
Doch was geschieht jetzt in der Zeiten Lauf?
Die Fremden, kamen sie nach Wesel,
erfragten gleich den grauen Esel.
Denn ganz natürlich, niemand kennt
ein Haus, das man den Kronprinz nennt.
Und so ward dieser groß und reich,
doch jener durch die Sorgen bleich,
vom Kummer und vom Harm
bleich, ungesund und arm.
So geht es in der Welt:
Wer hoch steigt, der hoch fällt.
Man sei doch ja mit dem zufrieden,
was einmal das geschick beschieden,
und hebe sich durch eiteln Tand
nicht über den bestimmten Stand.
Wie manchen würde man mehr schätzen und mehr lieben,
wenn er der graue Esel ruhig wär‘ geblieben!
Text: Johann August Günther Heinroth (vor 1812)
in Als der Großvater die Großmutter nahm (1885)
1812