Es war einmal ein Turner
der schwärmte für Freiheit gar sehr
doch liebt er auch den Herrn König
und den Wein und die Mädchen noch mehr
Und wenn er am Reck und am Barren
des Leibes Glieder gestreckt
da hat im Wirtshaus natürlich
ein Gläschen vortrefflich geschmeckt
Da saß er manch fröhliche Stunde
und schlürfte den perlenden Wein
und kniff in die Wangen und Arme
die dienenden Mägdelein
Dort sang er die Lieder der Freiheit
mit Basses Grundgewalt
er sang sie aus alter Gewohnheit
und wurde nicht warm und nicht kalt
Und als er wieder mal nächtlich
für Wein und für Liebe erglüht
hat er auf dem Heimweg gesungen
gar dröhnend ein freiheitlich Lied
Das drang durch die nächtliche Stille
mit mächtigem Donnerton
doch ein Wächter der spitzte die Ohren
und ahnte gleich „Revolution“
Alsbalde mit mächtigen Schritten
hat er sich dem Sänger genaht
und wollte zur Wache ihn bringen
als einen Sozialdemokrat
Da standen die Haare zu Berge
dem Sänger der frevelnden Weis´
es fiel ihm das Herz in die Hosen
und er flüstert, gebadet in Schweiß
„Verzeihen Sie gütigst, Herr Nachtrat,
ich bin ja nicht sozial
Ich liebe das Heer und den König
und bin nationalliberal“
Doch konnte dies nimmer ihm nützen
er kriegte was aufgebrummt
das nahm sich der Ärmste zu Herzen
und seitdem ist er verstummt
Er schleicht wie ein Dieb sich nach Hause
ist vom Weine der Schädel ihm schwer
singt kaum noch von Wein und von Liebe
von Freiheit doch nimmermehr
Mag nichts von der Edlen mehr wissen
für die einst sein Herze erglüht
jetzt ist er ein Konservativer
oder gar ein Antisemit
Text: Ernst Klaar
Musik: Es hatten drei Gesellen
in “ Der freie Turner “ – 1913