Von Jahren alt, an Gütern reich,
Teilt einst ein Vater sein Vermögen
Und den mit Müh erworbnen Segen
Selbst unter die drei Söhne gleich.
Ein Diamant ist’s, sprach der Alte,
Den ich für den von euch behalte,
Der mittels einer edlen Tat
Dazu den größten Anspruch hat
Um diesen Anspruch zu erlangen,
Sieht man die Söhne sich zerstreun:
Drei Monde waren schon vergangen,
Da stellten sie sich wieder ein.
Darauf sprach der Älteste der Brüder:
»Hört! es vertraut ein fremder Mann
Sein Gut ohne eigenen Schein mir an;
Dem gab ich es getreulich wieder.
Sagt, war die Tat nicht lobenswert?« –
»Du tatest, Sohn, wie sich’s gehört,«
Ließ sich der Vater hier vernehmen;
»Wer anderes tut, der muss sich schämen;
Denn ehrlich sein heißt uns die Pflicht.
Die Tat ist gut, doch edel nicht.«
Der andere sprach: »Auf meiner Reise
Fiel einst in ganz unachtsamer Weise
Ein armes Kind in einen See;
Ich aber zog es in die Höh‘,
Und rettete dem Kind das Leben;
Ein Dorf kann davon Zeugnis geben.« –
»Du tatest,« sprach der Greis, »mein Kind,
Was wir, als Menschen, schuldig sind.«
Der Jüngste sprach: »Bei seinen Schafen
War einst mein Feind fest eingeschlafen
An eines tiefen Abgrunds Rand;
Sein Leben stand in meiner Hand.
Ich weckte ihn, und zog ihn zurücke.« –
»O!« rief der Greis mit holdem Blicke,
»Der Ring ist dein: welch edler Mut,
Wenn man dem Feinde Gutes tut.«
Text: Magnus Gottfried Lichtwer (1762)
in Als der Großvater die Großmutter nahm (1885)