Der schöne Schäfer zog so nah
Vorüber an dem Königsschloß
Die Jungfrau von der Zinne sah
Da war ihr Sehnen groß
Sie rief ihm zu ein süßes Wort
„O dürft ich gehn hinab zu dir
Wie glänzen weiß die Lämmer dort
Wie rot die Blümlein hier!“
Der Jüngling ihr entgegenbot
„O kämest du herab zu mir
Wie glänzen so die Wänglein rot
Wie weiß die Arme dir!“
Und als er nun mit stillem Weh
In jeder Früh vorüber trieb
Da sah er hin, bis in der Höh
Erschien sein holdes Lieb
Dann rief er freundlich ihr hinauf:
„Willkommen, Königstöchterlein!“
Ihr süßes Wort ertönte drauf:
„Viel Dank, du Schäfer mein!“
Der Winter floh, der Lenz erschien
Die Blümlein blühten reich umher
Der Schäfer tät zum Schlosse ziehn
Doch sie erschien nicht mehr
Er rief hinauf so klagevoll
„Willkommen, Königstöchterlein!“
Ein Geisterlaut herunterscholl:
„Ade, du Schäfer mein!“
Text: Ludwig Uhland (1805)
Musik: Friedrich Silcher (1835)
in Volkstümliche Lieder der Deutschen, 1895