Brüder, laßt uns lustig sein
Weil der Frühling währet.
Und der Jugend Sonnenschein
Unser Laub verkläret:
Grab und Bahre warten nicht;
Wer die Rosen jetzo bricht
Dem ist der Kranz bescheret.
Wo sind diese, sagt es mir
Die vor wenig Jahren
Eben also gleich wie wir
Jung und fröhlich waren?
Ihre Leiber deckt der Sand
Sie sind in ein ander Land
Aus dieser Welt gefahren
Unsers Lebens schnelle Flucht
Leidet keinen Zügel
Und des Schicksals Eifersucht
Macht ihr stetig Flügel:
Zeit und Jahre fliehn davon
Und vielleichte schnitzt man schon
An unsers Grabes Riegel.
Wer nach unsem Vätern forscht
Mag den Kirchhof fragen:
Ihr Gebein, so längst vermorscht
Wird ihm Antwort sagen.
Kann uns doch der Himmel bald,
eh die Morgenglocke schallt
In unsre Gräber tragen.
Unterdessen seid vergnügt
Laßt den Himmel walten!
Trinkt, bis euch das Bier besiegt
Nach Manier der Alten!
Fort mir wässert schon das Maul
Und ihr Andern seid nicht faul
Die Mode zu erhalten!
Dieses Gläschen bring ich dir, .
Daß die Liebste lebe,
Und der Nachwelt bald von dir
Einen Abriß gebe!
Setzt ihr Andern gleichfalls an,
Und wenn dieses ist getan,
So leb der edle Rebe!
Text: Johann Christian Günther , 1717
Musik: auf die Melodie von „Gaudeamus Igitur“
in Deutscher Liederhort III (1894, Nr. 1688 C „Deutsche Übertragung des „Gaudeamus Igitur“)
Das ist die älteste deutsche Übertragung des Gaudeamus, durch Joh. Christian Günther um 1717 in Leipzig gedichtet. Text wie hier gedruckt in: „Sammlung von Johann Christian Günther’s, aus Schlesien, bis anhero herausgegebenen Gedichten. Auf das neue übersehen und in einer bestem Wahl und Ordnung mit einem Anhange und Register, nebst des Autoris Leben und einer Vorrede von den so nötigen und nützlichen Eigenschaften der Poesie an das Licht gestellet“. 5. Aufl. Breslau und Leipzig 1751 , S, 323, unter der Rubrik: „Verschiedene Jugendproben“. —