Beschattet von der Pappelweide,
Am grünbeschilften Sumpf
Saß Hedewig im roten Kleide
Und strickt‘ an einem Strumpf
Sie strickt und sang mit süßem Ton
Ein Lied — ich weiß nicht mehr, wovon
Da ging ich an den Bach zu fischen
Mit meiner Angel hin
Und hörte hinter Erlenbüschen
Die schöne Nachbarin.
Ich ließ die Angel an dem Bach
Und ging dem lieben Mädchen nach
»So einsam, Mädchen? Darf ich stören?
Hier sitzt man kühl und frisch.«
»O gern! Ich suchte Heidelbeeren
In dieses Tals Gebüsch. —
Allein die Mittagssonne sticht,
Auch lohnet es die Mühe nicht.«
Ich setzte mich mit bangem Mute,
Mir lief’s durch Mark und Bein
Und neben meinem Fuße ruhte
Ihr Füßchen zart und klein.
Auf Gras und Blumen hingestreckt
Und bis zum Zwickel nur bedeckt
Wir zitterten wie Espenblätter
Und wußten nicht warum.
Wir stammelten von Saat und Wetter
Und saßen wieder stumm
Und horchten auf die Melodien,
Die Kiebitz und Rohrdommel schrien.
Jetzt, kühner, stört ich sie im Stricken
Und nahm ihr Knäul vom Schoß
Doch herzhaft schlug sie mit den Sticken
Auf meine Finger los.
Und als sie hiermit nichts gewann,
Da setzte sie die Zähnchen an
»O sieh, wie durch das Laub, mein Liebchen,
Die Sonne dich bestrahlt
Und bald den Mund, bald Wang‘ und Grübchen
Mit glühndem Purpur malt!
Auf deinem Antlitz hüpft die Glut
Wie Abendrot auf sanfter Flut.«
Sie lächelte. Ihr Busen strebte
Mit Ungestüm empor,
Und aus den heißen Lippen bebte
Ein leises »Ach!« hervor.
Ich nahte mich, und Mund an Mund
Versiegelten wir unsern Bund.
Text: Johann Heinrich Voß (vor 1782)
Musik: Johann Abraham Peter Schulz (1782, Lieder im Volkston)