Als Gretchen einst zu Markte ging
Begegnete das gute Ding
Dem gnäd’gen Junker, welcher eben
Zur Jagd sich in das Feld begeben
Der Junker, der sie artig fand
Drückt zärtlich ihr die schöne Hand,
Und streichelt ihr die vollen Wangen
Und spricht von Liebe und Verlangen
Was soll sie tun? Sie war allein
Was nützt es ihr, um Hilfe schrein?
Sie folgt ihm dreist und unerschrocken
Wohin sie seine Bitten locken
Und als sie nun im hohen Gras
An ihres Junkers Seite saß
Sprach sie zu ihm: »Sie sollen wissen
Kein Mann in Stiefeln darf mich küssen!
Drum, gnäd’ger Herr, erlauben Sie
Daß ich von Ihren Füßen zieh
Was Sie und mich zugleich beschwert.«
Und was sie bat, ward ihr gewährt
Er reicht ihr beide Füße hin
Da zog die lose Schäferin
Zur Hälfte nur die Stiefeln nieder
Und lief davon und kam nicht wieder
Der gnäd’ge Herr, der rast und flucht
indem er aufzustehn versucht,
Schwankt von der Rechten zu der Linken
Und muß zurück zur Erde sinken
Auch hört er noch, indem sie lief,
Daß sie aus vollem Halse rief:
»So muß man kühne Junker prellen,
Die armen Mädchen Netze stellen!«
Text: Daniel Schiebeler, vor 1771
Musik: ?
D. Schiebeler ist der Dichter der ersten Operettentexte, gedankenreicher Sprüche und Epigramme, Hamburg (1741-1771).
„Das Motiv des verliebten Junkers, der von einer Magd oder einem schlagfertigen Bauernmädchen an der Nase herumgeführt wird, findet sich in vielen Romanzen wieder bis zu den Liedern der Biedermeierzeit (1815-1848), die ihren Namen nach einer Liedersammlung von Ludwig Eichrodt »Biedermeiers Liederlust« erhielt. Die heiteren Episoden mit dem geprellten Junker wurden häufig und gern als Vorlagen für Stiche, Stickereien auf Paravents, Aquatintenblätter und für Nippesfiguren benutzt.“
Die listige Schäferin